Buchstapel mit dem Hashtag Buchbingo

Klischees: Das böse K-Wort

Klischees in der Literatur – akzeptieren, umgehen oder modifizieren?

„Wer Klischees bedient, hat die treuesten Stammgäste.“

Karl-Heinz Karius

Mit dem Hashtag #buchbingo hat Buchnom auf Twitter vor wenigen Tagen einen regelrechten Sturm ausgelöst. Hunderte Literatur-Fans fassten darunter lästige Buchklischees zusammen, die sie nicht mehr lesen möchten. Häufig ging es dabei um altbackene Liebesgeschichten, abgedroschene Phrasen oder ausgelutschte Plot-Elemente.

Der überraschende Hype wurde zwiespältig aufgenommen. Sind Klischees wirklich so schlecht? Sollte man sie verdammen – oder ist eine Spur Klischee sogar wichtig? Und kann man Klischees denn überhaupt grundsätzlich vermeiden?

Starten wir mit der ganz basalen Frage: Was sind überhaupt Klischees?

Kognitive Abkürzungen

Der Begriff Klischee stammt aus der Unterhaltungsbranche und beschreibt Wendungen und Eigenschaften, die ursprünglich einmal originell waren, mittlerweile aber „ausgelutscht“ sind.

Artverwandt – und oft synonym verwendet – ist der Begriff Stereoytp. Stereotypen sind im Grunde nichts anderes als kognitive Abkürzungen, so genannte „Heuristiken“. Gewisse Eigenschaften einer Person bzw. Personengruppe oder auch bestimmte Handlungsverläufe sind in unserem Gehirn nahe beieinander abgespeichert und werden deswegen bevorzugt gemeinsam abgerufen. Sie werden durch eigene Erfahrungen, Erziehung oder auch durch die Medien geprägt und verfestigen sich im Laufe der Jahre.

Gegenläufige Erfahrungen, die diesen Klischees oder Stereotypen nicht entsprechen, können diese ins Bröckeln bringen, in der Regel ist dafür aber ein längerer Zeitraum erforderlich. Außerdem belegen Studien, dass Menschen besonders häufig nach solchen Informationen suchen, die ihre Einstellungen und Weltbilder unterstützen, dadurch werden auch Klischees verfestigt (Stichworte für Interessierte: „shared information bias“, „selective exposure effect“).

Klischees sind eine weit verbreitete Wohlfühlzone. Sie sind einfach, simpel und erfordern wenig mentale Kapazität. Wie viel einfacher ist es, zum Beispiel, einer taffen Karrierefrau sofort die Attribute „kühl“, „berechnend“ und „ehrgeizig“ zuzuschreiben, als sie zu beobachten, sich mit ihr auseinanderzusetzen und ihren Charakter über längeren Zeitraum hinweg zu ergründen.

Bei Romanen und Plotstrukturen gilt dasselbe: Es ist viel entspannter, von vorneherein mit einem fröhlichen Happy End zu rechnen, bei dem sich Protagonist*in und Love Interest in den Armen liegen, als zu abstrahieren, was sonst noch passieren könnte. Klischees sitzen in jedem von uns, sie sind normal und menschlich. Genau deswegen müssen wir uns ihrer auch bewusst werden und uns überlegen, wie wir damit umgehen.

Was Klischees so prägnant macht

Stereotype und Klischees haben die Eigenheit, in sich schlüssig und stimmig zu sein, deswegen sind sie einfach zu bedienen und zu merken. Ein Beispiel: Der Nerd, der am liebsten „World of Warcraft“ zockt, hat wenig Interesse an Sport, deswegen ist er übergewichtig, isst Fast Food und bleibt lieber für sich. Ein stimmiges Konzept, aber eine Spur zu einfach.

Nicht alle Nerds sind übergewichtig. Nicht alle Übergewichtigen meiden Sport. Und so weiter und so fort. Klischeefalle. Das ist das gemeine an Klischees, wir begegnen ihnen – vermeintlich – an jeder Ecke. In Wahrheit ist das aber nur ein Trugschluss, denn obwohl zwischen manchen Eigenschaften mit Sicherheit ein Zusammenhang besteht (z.B. Musikgeschmack und Kleidungsstil) neigen wir dazu, Klischees besonders leicht im Gedächtnis zu behalten. Wenn jemand dem Idealbild eines gewissen Personentypus entspricht, positiv wie negativ, dann merken wir uns das besser, als wenn er in einem oder zwei Punkten davon abweicht.

Zusätzlich sind Klischees oft erschreckend präsent. Nehmen wir als kontroverses Beispiel den „kriminellen Außenseiter“. Kommt es zu einem Amoklauf, sind die Medien anschließend voll von Informationen über die schlechte soziale Anpassung des Täters, seine „gestörten“ Vorlieben (Ballerspiele o.ä.) und seine Faszination für Waffen. Dadurch entsteht in den Köpfen der Konsumenten ein vermeintlich konsistentes Bild des „Amokläufers“. Dass es in Deutschland Tausende junger Menschen gibt, auf die dieselben Eigenschaften zutreffen, ohne dass sie je gewalttätig werden, nimmt die Masse nicht wahr. Ebenso wenig, wenn einzelne Täter*innen nicht dem klassischen Profil entsprechen. Genau dieser Wahrnehmungsfehler macht uns so anfällig dafür zu glauben, Klischees würden die Welt beherrschen.

Positive Klischees

Grundsätzlich sollte man, nach meiner Ansicht, zwei Typen von Klischees unterscheiden, die positiven und die negativen. Positive Klischees sind Stereotype, mit denen wir uns wohlfühlen: Die kauzige, aber liebevolle alte Dame von nebenan. Der charmant-freche Draufgänger mit dem Herz aus Gold. Das Pärchen, das sich zuerst nicht ausstehen kann, aber am Ende zueinander findet.

Märchen, Disneyfilme und Hollywood-Blockbuster arbeiten häufig mit diesen Klischees. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, abgesehen von der Tatsache, dass sie schnell langweilig und abgedroschen werden. In einer gewissen Dosis sind sie nett, schaffen Vertrautheit, Komfort und Wiedererkennungswert  – nehmen sie überhand, sind sie lästig oder fade.

Problematisch wird es an dem Punkt, an dem positive Klischees ihrerseits in Vorurteile münden können, Beispiele dafür sind positiver Rassismus oder die „Überhöhung“ bestimmter Personengruppen als übermäßig klug, begabt oder schön. Hier ist definitiv Vorsicht geboten.

Negative Klischees

Unter den Punkt negative Klischees subsumiere ich jede Form von Pauschalisierung und Diskriminierung. Die Außenseiterin mit dem seltsamen Kleidungsgeschmack, die zur Killerin wird. Der tuckige Schwule mit dem Faible für Schuhe. Das hässliche, unglückliche Entlein, das nach Diät und Schönheitskur zur glücklichen Märchenprinzessin mutiert und den Traumboy abbekommt.

Diese Form von Klischee ist gefährlich, denn dadurch können Vorurteile verstärkt und in Folge dessen Diskriminierung vorangetrieben werden, z.B. Fat shaming, homofeindliches oder rassistisches Gedankengut. Vor dieser Verantwortung sind auch Autoren fiktionaler Werke nicht gefeit, denn egal ob fiktiv oder real, Verbindungen im Gehirn bilden sich durch Wiederholung. Je häufiger man also mit diesen negativen Klischees konfrontiert wird, desto höher die Gefahr, dass sie sich als festes Vorurteil im Kopf verankern (s. dazu auch „Fantastisch politisch – warum es keine unpolitische Fiktion gibt“).

Wie gehe ich mit Klischees um?

Grundsätzlich stehen Autor*innen drei Möglichkeiten offen, mit Klischees oder Stereotypen umzugehen.

Ich benutze sie!

Gute Klischees sind nichts Schlimmes, sofern sie in Maßen dosiert werden. Gewisse Archetypen sorgen bei Leser*innen für Sympathie und Wiedererkennungswert, sie erinnern sie an ähnliche Figuren oder Menschen aus dem echten Leben, die sie schätzen. Wichtig ist nur, diese Charaktere nicht zu Abziehbildern zu degradieren, sondern ihnen eine Persönlichkeit zu geben, sonst droht es langweilig und flach zu werden.

Was grenzt die nette Dame von nebenan von allen freundlichen alten Frauen ab, die es so gibt? Was macht aus ihr einen Menschen anstelle eines Archetyps? Oft ist gar keine Hexerei erforderlich, sondern nur eine Beschäftigung mit der Frage: Warum ist diese Figur so, wie sie ist? Welche Stärken und Schwächen hat sie? Wie wirkt sie auf Betrachter*innen? Mit etwas Fingerspitzengefühl und Liebe zum Detail wird so aus einem abgedroschenen Klischee eine stimmige, interessante Figur.

Viele Klischees machen auch einfach Spaß, seien wir ehrlich, und es ist nichts Verwerfliches daran, Freude an bestimmten Tropes und Handlungselementen zu haben. Niemand wird das Rad neu erfinden, und wenn ein klassisches Element schön, interessant und stimmig umgesetzt wird, gibt es keinen Grund, das zu verdammen.

Ich umgehe sie!

Schlechte Klischees sollte man vermeiden, gerade weil wir ihnen – vermeintlich – so oft begegnen und die Gefahr besteht, dass sich das Vorurteil noch tiefer in den Köpfen einbrennt. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich um einen Contemporary oder einen Fantasy-Roman handelt. Sicherlich ist die Gefahr, ein Klischee in die Realität zu übertragen, bei realistischen Geschichten höher, sie existiert aber immer. Für jeden Charakter können wir eine Entsprechung in unserer Realität finden und unsere Antipathien oder vorgefertigten Meinungen auf ihn übertragen.

Oft ist es nicht leicht, solche Klischees zu erkennen, denn auch Autor*innen sind nur Menschen. Klischees oder Stereotype im Kopf zu haben ist kein Anzeichen von mangelnder Intelligenz oder Engstirnigkeit, sondern ein Effekt unserer Umwelt und unserer menschlichen Natur. Gerade deswegen müssen wir aber besonders genau hinsehen, uns immer wieder daran erinnern und reflektieren. Diesem Anspruch können wir nicht entfliehen.

Ich spiele mit ihnen!

Das ist sicherlich die Königsdisziplin im Umgang mit Klischees und erfordert ein gewisses Fingerspitzengefühl. Klischees können bewusst ausgenutzt und aufgebrochen werden. Vielleicht entpuppt sich die nette alte Dame ja als hinterhältiges Biest. Der knallharte Badboy guckt am liebsten Gilmore Girls und lebt in einer stabilen, glücklichen Beziehung. Die dicke, schwarz gekleidete Außenseiterin ist die Beste im Hockeyteam und dort unheimlich beliebt. Klischees sind eine schöne Möglichkeit, mit Leseerwartungen zu spielen und diese bewusst aufzubrechen, um damit Spannung zu erzeugen und Vorurteile oder Stereotype Lügen zu strafen.

Wichtig ist natürlich, dass dieser Bruch trotzdem stimmig wirkt und schlüssig erklärt werden kann. Starkes Übergewicht und Hochleistungssport schließen sich zum Beispiel in einigen Bereichen aus. Auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften passen mitunter nicht gut zusammen. Recherche und eine intensive Beschäftigung mit den eigenen Figuren und Plots ist also in jedem Fall unerlässlich. Nachteilhaft ist zudem, dass die meisten Klischee-Brüche mittlerweile selbst zu Klischees geworden sind. Der Klassiker ist die rebellische Prinzessin, die nicht im Turm eingesperrt auf ihren Traumprinzen wartet, sondern selbst das Schwert schwingt. Ursprünglich war die Märchenprinzessin selbst das Klischee, mittlerweile ist ihre Umkehrung auch zu einem geworden.

Fazit und Ausblick

Kommen wir zu einem Fazit: Was machen wir mit den Klischees? Fakt ist, es ist immer wichtig, den eigenen Plot und die Hauptfiguren auf unnötige, vielleicht sogar negative Klischees abzuklopfen. Bin ich in eine Klischeefalle getappt? Wenn ja, ist es schlimm, rückt es die betreffenden Personen in ein schlechtes Licht? Hier kann es helfen, bei Unsicherheiten Betroffene zu fragen und z.B. Sensitivity Reader zu suchen.

Auch auf Handlungsebene ist es ratsam, klischeehafte Wendungen oder altbackene Plotelemente genauer anzuschauen, Testleser*innen dafür zu sensibilieren oder Lektoren*innen darauf hinzuweisen.

Manchmal machen Klischees einfach Spaß oder gehören zur Konvention einzelner Genres. Ein Märchen erfordert z.B. andere Strukturen und Ideen als ein Science-Fiction-Epos, und in der Regel ist es nicht ratsam, Leseerwartungen zu arg zu enttäuschen. Eine locker-flockige Romanze, die am Ende in einem Massaker endet, ist zwar untypisch, könnte die Zielgruppe aber arg verstören. 😉

Klischees müssen also nichts Schlechtes sein, im Gegenteil, gut umgesetzt und interessant aufbereitet schaffen sie Vertrautheit und einen Wiedererkennungswert.  Es schadet aber nicht, sie hin und wieder auch zu hinterfragen. Hashtags wie #buchbingo sind dabei gute Wegweiser, solange man sie nicht verabsolutiert.


Ich gebe ja offen zu, es gibt einige Klischees, die liebe ich abgöttisch. Der sarkastische Draufgänger, zum Beispiel, der nichts ernst nehmen kann, oder der verbitterte Haudegen, der schon mit dem Leben abgeschlossen hat, bevor … ihr wisst schon. 😉 Und auf den „wir finden uns zuerst total blöd und am Ende verlieben wir uns doch“-Trope stehe ich auch ziemlich. Was ich dagegen gar nicht leiden kann, sind platt konstruierte Romanzen nach Schema F und alles, was mit Auserwählten zu tun hat.

Wie ist das bei euch, welche Klischees habt ihr gern, welche könnt ihr nicht mehr sehen? Und wie geht ihr als Autoren/innen mit Klischeefallen um? Bin gespannt. 🙂


Vielen Dank an Christian Milkus, Melanie Vogltanz, Herrn Booknerd und Buchnom für die Erlaubnis, ihre Tweets einzubinden.

4 Gedanken zu „Klischees: Das böse K-Wort

  1. Hallo Elea,
    an sich finde ich, dass du ein sehr spannendes Thema ansprichst und sicher auch sehr viele kluge Sachen dazu sagst – so weit ich das vom Überfliegen einschätzen kann. Zu einem genauen Lesen ist mir der Beitrag dann doch etwas zu lang. Vielleicht kannst du das nächste Mal Dinge prägnanter benennen?
    Liebe Grüße, Alex

    1. Hallo Alexandra,
      danke für deinen Kommentar. Das ist leider die Crux an manchen Themen. Wenn man sie einigermaßen differenziert von allen Seiten betrachten will, erfordert das leider mehr Raum.
      Ich versuche deswegen immer, die Beiträge mit Unter-Überschriften ein bisschen zu strukturieren, damit man nicht von einer Textwand erschlagen wird, und am Ende ein Fazit zu bilden, um das Gesagte möglichst knackig zusammenzufassen.
      Vielleicht hilft dir der Beitrag ja trotzdem ein bisschen weiter. 🙂
      LG Elea

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